Ernesto Sábato – Der Tunnel oder der lateinamerikanische Albert Camus

Der Tunnel erlangte durch den damals bereits bekannten Albert Camus internationale Aufmerksamkeit. Es gilt als das existenzialistische Werk Argentiniens.

Im Klappentext findet sich ein Zitat von Albert Camus über Sábato. Dort heißt es:

Motiviert hat mich dieses Buch als argentinische Variante zu Camus´ der Fremde. Beide handeln von der Frage nach Moralität, Gleichgültigkeit und vor allem von der Frage nach der Urteilsfähigkeit der Hauptcharaktere. Der Tunnel erlangte durch den damals bereits bekannten Albert Camus internationale Aufmerksamkeit. Es gilt als das existenzialistische Werk Argentiniens. Der spanische Originaltitel wurde in Deutsch auch mit den Titeln Maria oder die Geschichte eines Verbrechens, als auch unter dem Titel Der Maler und das Fenster veröffentlicht.

Die hier zitierte Auflage aus dem Wagenbuch Taschenbuchverlag wurde von Helga Castellanos neu durchgesehen.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch besonders bei Leonel, der mich damals in Frankfurt am Main überhaupt auf dieses Werk aufmerksam machte und ohne den ich Ernesto Sábato wohl nicht entdeckt hätte.

Wer war Ernesto Sábato?

Sábato ist als Person auch sehr interessant gewesen. Geboren 1911 gilt er als einer der bekanntesten argentinischen Schriftsteller. Er studierte Physik und Mathematik und wandte sich damit erst später der Literatur zu. Auch er hat den wohl klassischen Werdegang eines Schriftstellers eingenommen: Nicht Literatur zu studieren, ein anderes Werk zu erlernen, in seinem Fall Mathematik und Physik, um daraufhin Jahre später den Weg des Schriftstellers zu wagen. Bevor er als Schriftsteller arbeitete, war Ernesto Sábato Atomphysiker. Ein bekannter Zeitgenosse auch aus Argentinien war der Bibliothekar und Schriftsteller Jorge Luis Borges.

Im Klappentext des Wagenbuchverlags heißt es folgendermaßen:

„Sabato, 1911 in Rojas (Provinz Buenos Aires) geboren, studierte Mathematik und Physik und forschte als Atomphysiker in Paris und Boston – eine Tätigkeit, die er nach dem zweiten Weltkrieg zugunsten der Literatur aufgab. Bis zu seinem Tod 2011 galt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis.“

Nachdem er sich für den Weg des Schriftstellers entschied, dauerte es eine Weile, bis er die Anerkennung erreichte, mit welcher er seine finanziellen Bedürftigkeiten durch das Schreiben stillen konnte. Einen entscheidenden Faktor spielte dabei tatsächlich das Werk Der Tunnel (erstmals veröffentlicht 1948) und der Leser Albert Camus, dessen Worte von Bedeutung waren.

Worum geht es?

Der Text beginnt mit einem Zitat, dort heißt es:

„…en todo caso, había un solo túnel, oscuro y solitario: el mío“.

„… in jedem Fall gab es nur einen einzigen dunklen und einsamen Tunnel: den meinen.“

(Alle Textstellen wurden aus folgender Quelle zitiert: Ernesto Sabato: Der Tunnel, neu durchgesehen von Helga Castellanos. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2017.)

Within Roughcastle Tunnel by Stephen Craven is licensed under CC-BY-SA 2.0

Hauptcharakter ist Juan Pablo Castel, ein Künstler, der von dem Mord an María Iribarne erzählen wird. Juan Pablo Castel zeigt sich bereits zu Beginn als Exentriker, überheblicher Künstler, der zudem keinerlei Reue oder Schuld für den Mord an Maria empfindet. Juan Pablo Castel beschreibt in der Ich – Perspektive seine Lebensgeschichte, inklusive seines Mordes. Dabei stellt dieser bereits zu Beginn klar, dass er keine Reue oder Schuldgefühle gegenüber dem Mord per se empfinde und er geht sogar noch weiter…

Bis zu einem gewissen Punkt sind Verbrecher eher saubere, eher harmlose Menschen. Diese Behauptung stellte ich nicht auf, weil ich selbst einen Menschen getötet habe. Nein, es ist meine ehrliche und tiefe Überzeugung.

Ebd., S. 7f.

Die Philosophie dahinter

Die zentrale Idee ist, wie in Camus der Fremde, die Frage nach Moral und nach Schuldzuweisung. Es behandelt, die damals wichtigen und auch zugleich modernen Motive der Psychoanalyse einerseits und Fragen des Existenzialismus andererseits.

Anders als in der Fremde zeigt sich hier eine durchaus hoch emotionale Person. Während Meursault, der Hauptcharakter in der Fremde scheinbar ohne jegliche Gefühle und mit einer unglaublichen Langweile über seine Geschichte des Mordes erzählt, erzählt hier eine Person, die zu der getöteten Person eine hochemotionale Beziehung hatte und auch vor allem aus dem Motiv der Eifersucht töten wird.

So heißt es:

Mein Gott, ich habe nicht die Kraft zu sagen, was für eine Empfindung von unendlicher Einsamkeit meine Seele aushöhlte! Es war, als ob das letzte Schiff, das mich von meiner öden Insel hätte befreien können, in der Ferne vorbeizog, ohne meine Hilferufe zu bemerken. Mein Körper sackte langsam in sich zusammen, als ob ihm die Stunde des Alters schlagen würde.

Ebd., S. 150.

Camus und Sábato

Während Camus also die Frage der generellen Möglichkeit von Nachempfindungen oder dem Verständnis des Anderen aufstellt, eröffnet uns Sábato einen Charakter, der mit Gefühlen nahezu aufgefressen worden ist. Beiden ist eine gewisse Sysiphos -Frage inne. Beide Männer wissen nicht wirklich was gut und was schlecht ist und vor allem stellen sie sich die Frage, wozu es sich überhaupt lohnt zu leben. Wenn diese existenzielle Frage nicht beantwortet werden kann, wozu dann überhaupt Moral? Das ist die große Gemeinsamkeit beider Romane, die typisch existentialistische Frage nach der allgemeinen Sinnhaftigkeit des Lebens an sich.

Wen ich von Camus´ der Fremde zum lesen überzeugen konnte, dem sei dieser Roman von Sábato auch wärmstens empfohlen. Auch gerade weil Ernesto Sábato noch ein, im deutschsprachigen Raum, zu entdeckender Schriftsteller ist.

Quellen und weitere Lesetipps

Der Maler, der Maria tötete

Von Peter B. Schumann : 110. Geburtstag des argentinischen SchriftstellersErnesto Sábato – Physiker des Unbewussten, in Deutschlandfunk, 24.06.2021.


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