
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse (1877-1962) war ein deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler. Hesse arbeitete zeitlebens unter seinem Pseudonym Emil Sinclair. Besonderes bekannt wurden seine Werke Siddhartha, Der Steppenwolf, Demian.
Gerade Siddhartha ist ein Werk, welches sich vertieft mit der indischen Glaubenswelt befasst und vor allem für junge Lesende empfehlenswert ist.

Quellen:
Text: Hermann Hesse: Die Gedichte. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2001.
Titelbild: Alexandros Giannakakis auf Unsplash
Bild 1: Alexandros Giannakakis auf Unsplash


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