Wir alle leben in einer Welt, wie sie uns gefällt oder zumindest in einer Welt, wie wir sie sehen wollen. In einem Universum subjektiver Tänzer ähneln sich manche mehr und manche weniger. Das Leben zeigt sich uns, wie wir es sehen wollen, aber auch wie wir es sehen können. Alles ist Perspektive.
Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.
Albert Camus
Was bedeutet es in dieser Welt einem Menschen die Wahrheit zu sagen? Wie kann ich die Wahrheit sprechen, wenn sie doch immer wieder nur meine eigene Sicht des Tanzes zeigt? Wie kann ich wissen, dass jemand die Wahrheit sagt, wenn ich doch nur meine Perspektive aus seiner Erzählung werfen kann? Was bedeutet es die Wahrheit zu sagen? Sind wir überhaupt in der Lage eine objektive Konstante in dieses subjektive Spiel zu werfen?
Wenn wir davon ausgehen, dass es keine Objektivität gibt, keine feste Idee, wie sie Platon lehrte, keinen Idealismus, der die Wahrheit glaubt zu kennen, sondern nur Ansichten, Traumvorstellungen unzählig viele, aber doch unzählig verschiedene Farben, wie können wir dann noch von Wahrheiten sprechen? Wie kann ich die Farbe von jemandem sehen, wenn ich an dessen Wahrheit nicht glaube? Wie konnte ich deine Farbe sehen und warum weiß ich nicht mehr was sie ist, wie ich sie wieder sehen kann?
Der Philosoph und Psychologe William James behauptete, dass Wahrheit nur subjektiv entstehen kann. Wahrheit existiert für ihn nicht, vielmehr wird sie. In diesem Fall kann man das Wesen der Wahrheit als Fluss sehen. Wenn wir miteinander sprechen, so sollten wir uns an Momente erinnern, an Empfindungen nicht an Ideen, an Vorstellungen oder an Antworten. Denn während diese sich im Moment der Zeit in Perspektiven auflösen und an Wert verlieren, weil sie uns nichts mehr sagen können, weil sie für unsere Sprachen zu Fremdsprachen verändert worden sind, so werden die Gefühle nicht erklärt. Sie bleiben auf eine Art, die wir nicht erläutern, die wir nicht besprechen können. Sie ändern sich und sie sind immer da, selbst wenn wir nicht mehr dieselben sind.
Wahrheit bedeutet also etwas für wahr zu nehmen. In der Philosophie wurde lange gelehrt, dass Wahrheit etwas ist, was einer anderen objektiven Welt entspricht. Wir versuchen die Welt durch Abbildung von Ideen (Platon Ideenlehre) zu erklären. Mit Begriffen bestimmen. Philosophisch betrachtet wird dieser Gedanke der Korrespondenztheorie zugesprochen. Man sieht die Gedanken der Menschen als Abbilder einer bestimmten Realität, der Wahrheit. Es ist ein linearer Weg. Man versucht durch Platon geprägt, den subjektiven Tanz durch eine objektive Rhythmus-bestimmung zu erklären. Für Wissenschaften scheint es notwendig, Objektivitäten zu behalten, sie zumindest anzunehmen. Denn ohne die Annahme von Objektivitäten werden wir nicht forschen können. Das bedeutet aber nicht, dass wir immer wieder gezwungen werden müssen, diese Wahrheiten, diese Konstanten zu hinterfragen, zu falsifizieren, wie es die Wissenschaftstheorie verlangte.
In dieser Zeit glauben wir an Perspektiven, vielleicht sind das unsere Wahrheiten. In diesem Zustand scheint der Gedanke einer objektiven Realität, einer absoluten Wahrheit, die wir zu erkennen versuchen, unnötig. Und doch sehnen wir uns danach. Wir wollen daran glauben, auch wenn unser Verstand uns davon abrät. Je größer ein Drang wird, je größer der Drang nach Perspektiven wird, desto mehr glauben wir daran, desto mehr schaffen wir Wahrheiten, die wir in der Oberfläche so sehr bekämpfen wollen.
Doch abgesehen davon, wie können wir miteinander sprechen, wenn Wahrheiten subjektiv bleiben? Wie können wir miteinandersprechen, wenn alles Perspektive ist? William James behauptet, dass Wahrheit als Begriff neu definiert werden soll.
Es gibt keine größere Lüge als eine mißverstandene Wahrheit.
William James
Doch was passiert, wenn ich deine Farben nicht mehr sehe? Wo gingen sie hin? Wer hat mir meine Augen genommen? Was ist wahr? In welcher Wahrheit lebe ich, lebst du?
„Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist.“
Christian Morgenstern
Es gibt keine Erklärung für ein Ent-lieben, genauso wenig gibt es eine Erklärung für das Ver-lieben. Dieser Moment ist irrational.
Das Herz fühlt und zeichnet eine Linie, die wir nur sehen können, aber nicht nachzeichnen und sobald wir sie gesehen haben, entschwindet auch das Bild. Das entstehende Gefühl bleibt.
In diesem Moment hat sich für den Fall des Ent-liebenden eine unerklärbare Wahrheit gebildet. Er hat einen neuen Zustand erreicht, den er nur fühlen und an ihn glauben kann. Er kann ihn allerdings nicht mitteilen. Für die andere Person ist dieser Zustand der irrationalste Zustand, den es gibt. Er kann sich nicht erklären, warum der Zustand des Ent-liebens eingetreten ist. Er kann keine logisch nachvollziehbare Aussage finden. Folglich kann dieser Zustand für den anderen keine Wahrheit sein. Er ist nicht in der Lage, daran zu glauben.
Und wenn es keine Wahrheit ist, sollte es dann Lüge sein, obwohl der andere dies als Wahrheit fühlt?
Alle Wahrheit ist einfach. — Ist das nicht zwiefach eine Lüge.
Friedrich nietzsche
Die Subjektivität unserer Ansichten zeigt, wie sehr wir in unseren Gedanken über Wahrheit divergieren, wie sehr wir doch in anderen Welten tanzen. Und wenn sich zwei subjektive Tänzer einen Tanz gemeinsam erträumen, entsteht dann vielleicht doch eine subjektauflösende objektive Wahrheit, die zu jedem Zeitpunkt in jedem Moment durch die Irrationalität ihre Schritte wie ein Schmetterling in die Lüfte entschwinden kann?
