DenkerInnen zwischen Philosophie und Lyrik. Eine Reihe über die verborgene Lyrik in der Philosophie. Nummer 1: Friedrich Nietzsche

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Lyrik und Philosophie seien zwei Wege, die voneinander zu differenzieren seien. So wurde es mir in einem Studium der Philosophie gelehrt. Entweder man schlage den Weg der Philosophie oder eben den der Poesie, den der Kunst ein. Denn Denken und Dichten seien voneinander zu distanzieren. Während Denken den Weg der Vernunft, der Ratio einschlägt, lebe das Dichten von der Intuition, dem momenthaften Geschehen, ohne den Anspruch auf einer tiefen Kenntnis der Ursache zu haben. Entweder man sucht nach Antworten oder man formuliert Fragen. Philosophie als Weltdistanzierung – Poesie als Wissenschaftsdistanzierung. Philosophie als Ernsthaftigkeit. Poesie als Freude. So oder so ähnlich findet man gängige Sätze über die Unterscheidung von Philosophie und Poesie. Dass das so nicht stimmen kann, will ich mit der folgenden Reihe zeigen. Denn es gibt und vor allem es gab sie immer wieder, die PhilosophInnen und DichterInnen, die Zwischenwege einschlugen, die beides miteinander verbanden und der lesenden Person nie genau einen Ursprung oder eine Antwort gaben, ob sie nun eindeutig LyrikerInnen oder PhilosophInnen seien. Denn irgendwie können Lyrik und Philosophie eben doch miteinander verbunden werden. Nicht in einem Zusatz, einer schönen dichterischen Bereicherung, sondern in einem einheitlichem Denken. 

Im Folgenden will ich mich auf den Weg machen, zu den DenkerInnen, die auftraten, die die Bühne hatten oder den LyrikerInnen, die sich die Ruhe und Zeit des Denkens nahmen und in ihren Texten immer wieder auf eine ganz eigene Art und Weise davon erzählten und erzählen.

Sophia

Und Ich wollte fliegen mit 

mir fremden Flügeln. 

Doch die Schwerkraft fing mich 

in den Boden der Tatsachen. 

Poesia 

Und du fliegst mit 

deinen gewebten Flügeln 

die Metapher empor. 

Die Grammatik lässt du am Boden zurück. 

Friedrich Nietzsche  (*1844 in Röcken † 1900 in Weimar) 

Der erste Philosoph, der in dieser Reihe erwähnt und berichtet werden wird, ist der Dichter Philosoph Friedrich Nietzsche. Er selbst sieht sich weder als Philosoph noch als Dichter. Warum? Er hält nicht viel von den Begriffsbestimmungen, die zu Dogmatiken führen, weil die eigene Perspektive verloren gehen könnte. In diesem Punkt spricht er etwas wichtiges an, die Perspektive. 

Ein Dichter Philosoph 

Friedrich Nietzsche wagt im 19. Jahrhundert eine Verbindung. Ein philosophierender Poet oder ein poetischer Philosoph. Ein Denker, der von LyrikerInnen gesprochen wird – Ein Dichter, der von DenkerInnen interpretiert wird. Er selbst gilt als Dichter Philosoph schreibt in unzähligen verschiedenen literarischen Gattungen und gilt zugleich als Klassiker der Philosophiegeschichte. Dabei setzt sich der Philosoph und Poet selbst immer wieder damit auseinander, wie diese Verhältnisse zu untersuchen sind, wie die Verbindungen sind und vor allem warum in seinem Werk die Frage nach der Form so zentral bleibt.

Die Naturbeschreibung des Philosophen. Er erkennt, indem er dichtet, und dichtet, indem er erkennt. 

Friedrich Nietzsche: eKGWB/NF-1872,19[62] — Nachgelassene Fragmente Sommer 1872 — Anfang 1873. 

Sein bekanntestes Werk, das in lyrischer Form verfasst worden ist, ist sein Werk Also Sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen. Darin singt ein Mensch, der versucht ist den anderen Menschen eine Botschaft zu überbringen. Er singt auf der Suche nach einer Kommunikation, die er verwenden kann, um mit anderen zu sprechen. Doch fehlt ihm die Form der Kommunikation. Also fängt er an zu singen in der Hoffnung, dass die Anderen mit ihm zu tanzen beginnen. Es geht also um eine Form der Kommunikation, die gesucht wird, um das Denken und damit auch das Erkennen begrifflich zu fassen. Für Zarathustra, der auch Nietzsche sein könnte, liefert am Ende allein die Lyrik diese Form. 

Versöhnlicher mit Philosophie scheint Nietzsche in der Fröhlichen Wissenschaft zu sein. Dort schafft Nietzsche ein Werk, welches inhaltlich besonders die Frage nach Wissenschaft, Philosophie und Dichtung stellt und formal – von Dichtung umrundet – in Aphorismen umhüllt ist. Die Fröhliche Wissenschaft beginnt dabei mit der Sammlung von Sprüchen und Versen: „Scherz, List und Rache. Ein „Vorspiel in deutschen Reime“ und endet mit der Liedersammlung: Lieder des Prinzen Vogelfrei, welches aus insgesamt 14 Gedichten besteht.

Tanzen wir in tausend Weisen, 

Frei- sei unsre Kunst geheissen, 

Fröhlich – unsre Wissenschaft! 

Friedrich Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft. Lieder des Prinzen des Vogelfrei. An den Mistral. KSA 3, S. 650.

Nietzsches Lyrik besonders in der Fröhlichen Wissenschaft zeigt uns, dass Lyrik nicht nur für Philosophie als Bereicherung dienen kann, sondern vor allem auch gerade für das Denken und Erkennen der Philosophie eine Perspektive öffnet, die ohne Lyrik nicht vorhanden wäre. Mithilfe der Lyrik kann also Philosophie eine neue und erweiterte Form des Denkens und Erkennens erreichen. Beim Lesen seiner Gedichte wird die lesende Person motiviert und aufgefordert selbst zu denken und Neues zu verstehen. Das ist es, was mich an Nietzsches Lyrik fasziniert.

Während in Philosophie Antworten und Regeln ersucht werden, ist es zumeist die Poesie, die eben diese Antworten in Fragen auflöst und umkehrt. Poesie beobachtet und fordert dabei jeden einzelnen Menschen immer selbst heraus, Antworten immer wieder neu zu finden, neu zu formen. Dabei bleibt ein Dogmatismus, der in der Philosophie schnell entstehen könnte, unmöglich. 

Nach neuen Meeren.

Dorthin – will ich; und ich traue 

Mir fortan und meinem Griff. 

Offen liegt das Meer, in ́s Blaue 

Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer, 

Mittag schläft auf Raum und Zeit-: 

Nur dein Auge – ungeheuer

Blickt mich’s an, Unendlichkeit! 

FRIEDRICH Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. Lieder des Prinzen Vogelfrei. Nach neuen Meeren. KSA 3, S. 649.

Seid gespannt auf den nächsten Dichter, die nächste Philosophin, die auch beides sein könnten.  

  • Friedrich Nietzsche (*1844 † 1900)
    • Deutscher Philosoph, Dichter und Schriftsteller
    • Begründer des Nihilismus; Theorie des Perspektivismus; Ewige Wiederkunft
  • Werke
    • Also Sprach Zarathustra
    • Die Fröhliche Wissenschaft
    • Jenseits von Gut und Böse

Zu empfehlen:

Wenn ihr etwas über Nietzsche erfahren wollt:

Safranski, Rüdiger. Nietzsche. Biographie seines Denkens. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 2003.

Deleuze, Gilles. Nietzsche ein Lesebuch. Übersetzt von Ronald Voullié. Berlin: Merve Verlag, 1979. 

Friedrich Nietzsche und das Verhältnis von Kunst und Philosophie:

Mersolis Schöne, Joel Szonn: Thinking Nietzsche. An Essayistic Documentary Film. A Moving Thought Production, 2018.

2 Kommentare zu „DenkerInnen zwischen Philosophie und Lyrik. Eine Reihe über die verborgene Lyrik in der Philosophie. Nummer 1: Friedrich Nietzsche

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