DenkerInnen zwischen Philosophie und Lyrik. Eine Reihe über die verborgene Lyrik in der Philosophie. Nummer 2: Hannah Arendt

Young-Bruehl, Elisabeth Yale University Press Hannah Arendt: For Love of the World ISBN: 978-0-300-10588-9.
Photograph of Hannah Arendt in 1933 Gemeinfrei

Dieser Bericht ist ein Teil der Reihe über DenkerInnen, die sich irgendwo zwischen Philosophie und Lyrik ansiedeln und damit zeigen, dass eine Zwischenebene durchaus möglich ist. In diesem Artikel wird Hannah Arendt betrachtet werden. Wer war Hannah Arendt, woher kam sie und wie beeinflusste Lyrik ihr Denken und Philosophie ihre Lyrik?

Hannah Arendt – Eine jüdische Journalistin, die über Paris, Lissabon letztendlich nach New York geflohen ist und dort politische Theorie lehrte. Eine Frau, die sich selbst nicht im Kreis der Philosophen sehen möchte, später als Klassiker der politischen Theorie verstanden wird, ein Bereich irgendwo zwischen Philosophie, Politikwissenschaft und Soziologie.

Hannah Arendt war eine Denkerin, die Lyrik verfasste – für sich – und sich selbst stets als Literatin verstand.

Ich selbst, auch ich tanze.

Hannah Arendt
Eine Denkerin, die wie sie schreibt, auch selbst tanzt.
Barbara Nigel Radlhof : Hannah Arendt auf dem 1. Kulturkongress CC BY-SA 4.0

Hannah Arendt wird 1906 in Hannover geboren. Seit Hannah 14 Jahre ist, steht die Wahl der Philosophie fest. Sie muss verstehen. Sie hat sehr früh dieses Bedürfnis nach dem Verstehen. Die Lektüre beginnt sie in ihrem Elternhaus. Arendt studiert mit 17 Jahren Philosophie in Marburg bei Martin Heidegger, bei Bultmann, und Karl Jaspers. Sie liest viel Kant, studiert Theologie und Philologie. Später wird sie sich vor allem mit der antiken Philosophie auseinandersetzen. Jaspers Psychologie der Weltanschauung liest sie mit 14 Jahren, daraufhin folgen Kierkegaard und das Interesse an Theologie.

Griechische Poesie liebt sie. Dichtung spielt eine unglaubliche Rolle. Die Poesie also bleibt von Beginn an, neben der Philosophie eine wichtige Rolle in ihrem Leben.

Später promoviert sie in Heidelberg bei Karl Jaspers über den Liebesbegriff bei Augustin. Die Schrift lautet: Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation und erscheint 1929 im Verlag von Julius Springer. Arendt ist 23 Jahre jung und erledigt ihre Promotion.

1933 wird Arendt inhaftiert von der Gestapo. Sie flieht aus Deutschland, wohnt vorübergehend in Paris und arbeitet dort als Sozialarbeiterin bei einer Organisation, die in Deutschland 1932 gegründet worden ist und 1933 groß wurde und dann in Amerika geführt wurde. Diese Organisation brachte jüdische Jugendliche und Kinder zwischen 13 und 17 Jahren nach Palästina und dort in den Kibbuzen. Von 1937 bis 1951 ist sie staatenlos. 1941 zieht sie nach New York. Dann erlangt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft, lebt und arbeitet in New York unter anderem als Journalistin, Publizistin und lehrt politische Theorie. 1963 wird sie Professorin in Chicago und ab 1967 lehrt sie an der New School of Social Research in New York.

Eine Denkerin im öffentlichen Raum

Bekannt wird sie als Denkerin, als politische Theoretikerin, als Gelehrte. Sie zählt zu den wenig bekannten Philosophinnen. Denn zumindest Deutschland scheint in diesem Moment die Rolle der Frau in der Philosophie nicht wirklich Beachtung schenken zu wollen. Hannah Arendt selbst, will sich nicht als Philosophin verstehen.

Hannah Arendt bleibt also eine Denkerin im öffentlichem Raum.
Sie will nicht wirken. Sie will verstehen. Sie schreibt, um zu verstehen, um in ihrem Denken Erkennen zu erreichen. Die Wirkkraft wird dabei nebensächlich.

Ja, ich fürchte, ich muß erst einmal protestieren. Ich gehöre nicht in den Kreis der Philosophen. Mein Beruf – wenn man davon überhaupt noch sprechen kann – ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin. Ich glaube auch nicht, daß ich in den Kreis der Philosophen aufgenommen worden bin, wie sie freundlicherweise meinen.

Interview Günter Gaus, Min. 1:01min.
Hannah Arendt im Interview mit Günter Gaus
Werke
Seit Arendt in Amerika lebt, publiziert sie vorwiegend in Englisch.

Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (Frankfurt am Main 1955) im Original: The Origins of Totalitarianism (New York 1951)
1958 folgt Human Condition (Chicago 1958) in deutsch wird es mit Vita Activa (Stuttgart 1960) übersetzt.
1963 wird das Buch über den Eichmann Prozess veröffentlicht. (Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil, New York 1961)
Die Vorlesungen zu Kant: Lecture on Kants Political Philosophy (Chicago 1982), sind sehr zu empfehlen.
Darin: Das Urteilen, im Original: On Judging. Für fortgeschrittene LeserInnen geeignet – bedingt philosophische Grundkenntnisse und vor allem Kenntnisse in politischer Theorie und politischer Philosophie. Auch hier ist eine Unterscheidung beider Begriffe wichtig zu betonen. Alles in Allem, ein Buch, das sich vor allem für bereits Arendt lesende Menschen und nicht unbedingt für den Beginn einer Arendt Lektüre anbietet.
Macht und Gewalt (München 1970) im Original: On Violence (New York, London 1970) – sehr zugänglich, einfach zu verstehen. Arendt analysiert die Begriffe Macht und Gewalt. Politisch im Zuge des Vietnamkrieges, den Studentenunruhen.
Über die Revolution, im Original: On Revolution. (New York 1963)
Eichmann Prozess: (Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (München 1964) im Original: Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil. (New York, 1963)
Als Einführung in das Denken Hannah Arendts bietet sich vor allem der Bericht zum Eichmann Prozess.
Hauptgedanke wird dabei, dass das Böse banal ist und nicht in einer Einzigartigkeit ohne Sozialisierungsmechanismen, ohne äußere Beeinflussungen auftritt. So als ob es etwas Abwesendes wäre, so als ob es uns nie betreffen würde, weil wir nicht böse sind oder uns zumindest nicht aktiv in den meisten Fällen dafür aussprechen wollen würden. Es ist ein wichtiges Zeitdokument, dank moderner Plattformen wie YouTube zugänglich für alle, die interessiert sind und das sollten wir alle sein. Denn nur dann können wir lernen und unsere Zukunft bestimmen und vor allem versuchen uns zu jedem Zeitpunkt zu verändern. Dazu empfiehlt sich:
Zeitgeschichte Online
Eichmann Prozess auf YouTube abrufbar.
Yad Vashem. The World Holocaust Remembrance Center.
Arendt als Lyrikerin
Photo by Nick Fewings on Unsplash

Das Herz ist ein komisches Organ: Erst wenn es gebrochen ist, schlägt es seinen eigenen Ton; Wenn es nicht bricht versteinert es. Der Stein, der einen vom Herzen fällt, ist fast immer der, in welchen sich das Herz fast verwandelt hätte.

Hannah Arendt
Was viele nicht oder noch nicht wissen, Hannah Arendt war Lyrikerin. Während Sie ihre philosophischen Texte sowohl in Deutsch und Englisch verfasst, galt die Sprache der Lyrik ausschließlich dem Deutschen. Hannah Arendt selbst tanzt für sich und wie schön dieser Tanz ist, soll in einem abschließendem Gedicht verdeutlicht werden.
Traum

Schwebende Füsse in pathetischem Glanze. 
Ich selbst, 
Auch ich tanze,
Befreit von der Schwere
Ins Dunkle, ins Leere.
Gedrängte Räume vergangener Zeiten,
Durchschrittene Weiten,
Verlorene Einsamkeiten
Beginnen zu tanzen, zu tanzen

Ich selbst, 
Auch ich tanze.
Ironisch vermessen,
Ich habs nicht vergessen,
Ich kenne die Leere,
Ich kenne die Schwere,
Ich tanze, ich tanze
In ironischem Glanze 

zitiert in: Arendt, Hannah. Ich selbst, auch ich tanze. München: Piper Verlag, 2021, S. 11. 
Literatur, Quellen und Empfehlungen
Ich empfehle das Interview mit Günter Gaus.
Außerdem interessant:
Rezension von Ingrid Isermann: „Hannah Arendt: Gedichte – Ich selbst auch ich tanze.“, in: Literatur und Kunst, o.J.

Goethe Institut. Broschüre: Hannah Arendt. Vertrauen in das Menschliche.

Astrid Nettling: „Hannah Arendt. Die Denkerin als Dichterin“, in: Deutschlandfunk 2016.

Neue Hannah Arendt-Studienausgabe bei Piper

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