Warum bestimmen wir überhaupt den Menschen?
Menschenbilder, mit ihnen finden wir einen Platz in der Welt. Sie setzen uns Rollen auf. Rollen, die uns Halt geben. Wir können uns einordnen und bestimmten Regeln folgen.
Durch Menschenbilder bestimmen wir ethische Regeln und Normen. Diese helfen uns dabei, eine Gesellschaft aktiv zu gestalten. Als Gesellschaft verändern wir uns immer. Auch das ist ein Teil der Menschenbilder. Denn auch sie verändern sich und damit uns. Die Geschichte der Menschenbilder ist auch immer die Geschichte der Menschen. Dabei bleibt es aber nicht. Indem wir Menschenbilder schaffen, erzeugen wir ein Bild über unser ideales Ich. Darauf aufbauend, strukturieren wir unsere Gesellschaft.
Diese Menschenbilder sind schon lange mehr keine Privatsache. Mit der Entscheidung, in einer Gesellschaft zu leben, gründen wir aufgrund unserer Menschenbilder Gesetze. Wir strukturieren unser Leben. Dabei zeigen sich die unterschiedlichen Menschenbilder nicht nur in verschiedenen Zeiten, sondern auch in verschiedenen Kulturen. So ist beispielsweise das Konzept Familie und Ehe in vielen verschiedenen Kulturen ein unterschiedliches, weil wir unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wer wir als Menschen sind.
Es kann kein eindeutiges Menschenbild geben. Aber die Untersuchung der Menschenbilder kann uns helfen, uns selbst besser zu verstehen, wie wir gedacht haben und wie wir denken. Dieser Gedanke wird besonders deutlich in den Schriften des französischen Philosophen Michel Foucault. Er betont, dass jedes Menschenbild Abbild einer bestimmten geschichtlichen Epoche sei und niemals universell gelten kann. (Vgl. dazu: Archäologie des Wissens, Michel Foucault.)
Gleichzeitig gibt es aber auch Menschenbilder mit Eigenschaften, die sich treu bleiben – wie das Menschenbild des vernunftbegabten Menschen. Den Ursprung der westlichen Welt liefert dabei Aristoteles mit seiner Idee des zoon logon echon. Diese Idee des Menschen als vernunftbegabtes Wesen ist auch heute noch ein weitverbreitetes Verständnis über den Menschen.
Wie wir uns als Menschen sehen und verstehen, entscheidet über unser zukünftiges Leben.
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Wie können wir den Menschen definieren? – Mögliche Wesensbestimmungen
Wie wir den Menschen bestimmen, ist in der Geschichte auf unterschiedlichste Art und Weise untersucht worden. Es haben sich unterschiedliche philosophische Strömungen entwickelt. Dabei werde ich heute auf drei große Gedanken eingehen.
- Der Mensch ist ein beseeltes Wesen.
- Der Mensch ist ein denkenedes Wesen.
- Der Mensch ist nichts anderes als eine Maschine.

Seelen-Mensch
Der italienische Renaussance Künstler Raphael (1483-1520) ist in der Philosophie vorallem bekannt für sein Gemälde: „Die Schule von Athen.“
In diesem Ausschnitt sind Platon (links) und Aristoteles (rechts) zu sehen. Dabei ist gerade Platon derjenige, der mit seinem Finger in die Luft zeigt, also die Welt der Ideen sucht.
Als Gegenpart wird Aristoteles mit seiner Handbewegung als Materialist verstanden. Er versucht die materielle, irdische Welt zu untersuchen und entfernt sich damit von Platons Zwei Welten Theorie.
Die Zwei Welten Theorie von Platon, also die Annahme, dass es eine materielle, physische Welt und eine immaterielle, nicht physische Welt gibt, geht mit seiner Idee der Seele einher. So geht er in seiner Erkenntnistheorie davon aus, dass Erkenntnis nicht etwas ist, was wir erreichen können, sondern etwas, woran wir uns zurückerinnern. (Vgl. Theitetos. 174b.)
Sie ist in einem Lebewesen durch die Teilhabe dieser immateriellen Welt vorhanden oder nicht vorhanden. Das Wesensmerkmal des Menschen ist nun, dass der Mensch ein Wesen mit dieser Teilhabe ist. Platon geht davon aus, dass der Mensch ein Lebewesen mit einer unsterblichen Seele ist. Diese unsterbliche Seele hat somit bereits die Erkenntnis in der immateriellen Welt erfahren und ist nun in der materiellen Welt dazu aufgefordert, sich daran zurückzuerinnern. Die Methode dafür wird später auch Hebammenkunst genannt.
Das Christentum wird diese Idee übernehmen. Die religiöse Annahme ist die, dass der Mensch eine Seele in sich trägt. Diese Seele ist etwas Geistliches und auch unsterblich.
Folgen für die Gesellschaft: Platons Idee des Menschen als alleiniges Wesen mit einer Seele hatte vor allem Folgen für seine Wahrnehmung und Stellung in der Welt. So versteht sich der Mensch als das außerwählte Wesen mit einer Seele. Auch die Annahme einer Ideenwelt, die vor uns schwebt und nicht in der materiellen Welt vorhanden ist, ändert die Wahrnehmung der Welt. Das physische Leben des Menschen zielt auf eine Wiedervereinigung der Unendlichkeit ab. Betrachten wir nochmals das Bild von Raphael, so wird deutlich: Platon lebt nicht in der Jetztzeit, er will nach oben zu den Sternen greifen – als Idealist. Aristoteles ist auf den Boden der Tatsachen konzentriert. Seine Hände sind nach unten geneigt. Er lebt im Jetzt. Während Platon in der Geschichte über Ideen und mögliche Welten nachdachte, suchte Aristoteles Gesetzesentwürfe verschiedener Länder, um eine allgemeine Ethik für ein gutes und gelungenes Leben zu verfassen.
Das Christentum wird im Mittelalter Platons Ideen weiter vertiefen und den Menschen als Spitze der Schöpfung verstehen. Jeglicher Umgang mit der Welt kann damit aus Menschenperspektive gerechtfertigt werden.

Cogito ergo sum
Der Mensch ist nicht mehr ein beseeltes Wesen, sondern ein denkendes. Sein Verstand macht ihn plötzlich einzigartig. Das Gemälde bildet die Skulptur: „Der Denker“ des französischen Bildhauers Rodin ab. Der Künstler Edvard Munch (1863-1944) war ein norwegischer Maler des Expressionismus. Er ist weltbekannt durch sein Gemälde „Der Schrei.“
In der Antike glaubt Aristoteles, dass der Mensch ein Wesen sei, das mit Vernunft lebt. Der im 16. Jahrhundert lebende René Descartes glaubt, dass der Mensch in seiner Denkfähigkeit einzigartig bleibt. So behauptet er: „Der Mensch ist ein denkendes Wesen.“ Cogito ergo sum. Das Leib Seele Problem wird hier nochmals vertieft. So geht Descartes davon aus, dass es zwei Teile des Menschen gibt: Das Denken und den Körper. Erst durch das Denken können wir uns sicher sein, dass wir existieren. Das behauptet zumindest Descartes und ebnet damit den Weg für den bis heute anhaltenden Dualismus. An die Spitze dieser Theorie des Verstandes schafft es wohl Imanuel Kant im 18. Jahrhundert. Er behauptet, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist und fordert seine Befreiung der Unmündigkeit. Er wird weltbekannt mit seinem Spruch: „sapere aude.“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Wie weit verbreitet dieses Prinzip ist, zeigt auch das 20. Jahrhundert. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel versucht beispielsweise in den 1970er-Jahren mithilfe seiner Idee des sich Einfühlens zu zeigen, dass wir mehr sind als Körperteile oder die Summe unserer Teile. (Vgl. dazu: Thomas Nagel, What is it Like to Be a Bat? 1974). Er will sich dort vor allem gegen eine reduktionistische Weltansicht positionieren.
Auch der australische Philosoph David Chalmers will an Nagel anküpfend mit seiner Theorie philosophischer Zombies und der Idee der sogenannten Supervision zeigen, dass der Materialismus und damit die Reduktion des Menschen auf das Physische nicht funktionieren kann. (Vgl. dazu: David Chalmers, The Conscious Mind 1996,)
Vergleichen wir die erste Idee mit der zweiten Idee, so sind sich beide in ihrer Dualität einig. Beide Theorien glauben also, dass der Mensch irgendetwas in sich trägt, was nicht rein materialistisch oder physikalisch reduziert werden kann. Dabei gibt es die eine ältere Richtung, die davon ausgeht, dass der Mensch eine Art Seele in sich trägt und die andere etwas jüngere Richtung, die davon ausgeht, dass dieser andere Teil nicht die Seele, sondern der Verstand, also das eigene Denken ist.
Folgen für die Gesellschaft:
Negative Folgen dieser Annahme sind besonders das Alleinstellungsmerkmal des Menschen und damit seine Haltung der Legitimation von allem, was der Mensch für richtig hält. Warum sollte der Mensch allein die Fähigkeit besitzen zu denken und sich damit in seiner Wesensstruktur vom Tier unterscheiden und warum sollte die Vernunft des Menschen überhaupt fähig dazu sein, das generell Richtige zu finden?
Auch die durch Kant und den deutschen Idealismus herbeigeführte Idealisierung des autonomen Menschen, der sich nun selbst in der Welt ermächtigt, kann und wurde kritisch gesehen. An die Spitze getrieben haben es dabei die Kunst oder die Architektur. Der Mensch ist nicht mehr Teil einer Natur und begrenzt in seiner Fähigkeit. Er wird vielmehr zum Mittelpunkt alles Vorhandenem und damit auch zum Schöpfer seiner Selbst und seiner Umgebung.

Mensch-Maschine
Der Mensch ist die Summe seiner Teile.
Gegen Descartes spricht sich der französische Philosoph, Arzt und Schriftsteller Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) aus. Er schreibt einen Text über die Mensch Maschine, L’Homme-Machine“ (1748) und geht davon aus, dass der Mensch nichts weiter als die Summe seiner Teile sei. Das Prinzip einer unsterblichen Seele lehnt er dankend ab.
Der Mensch ist die Summe seiner Teile.
Im 20. Jahrhundert finden wir zu David Chalmers einen passenden Gegenpart: Daniel Dennett. Damit bricht eine neue Debatte auf: Daniel Dennett als Hauptvertreter des Materialismus vs. David Chalmers als Hauptvertreter des Dualismus. Daniel Dennett behauptet, dass wir nicht intelligenter, nicht emotionaler und vor allem nicht einzigartiger sind als Roboter. Wie Mettrie geht er davon aus, dass wir nicht mehr sind als die Summe unserer Teile. Es gibt keine Seele oder einen vom Körper unabhängigen Geist. Dennett lehnt damit die Ideen von Descartes streng ab. Er vertritt den sogenannten Funktionalismus. Alles ist Materie. Alles ist reduzierbar. In Anbetracht der technischen Entwicklung ist der Mensch vielleicht nichts weiter als ein schlechter Roboter. (Vgl. dazu: Daniel Dennett: Consciousness Explained. Back Bay Books, New York, Boston, London 1991)
Folgen für die Gesellschaft:
Die Folgen dieser Theorie sind gravierend in einer Zeit der Digitalisierung und vor allem der K.I.. Damit wird verdeutlicht, dass der Mensch im Grunde kein freies Wesen sein kann. Diese Idee führt zwangsläufig auch zu einer strengen Form des Determinismus. Wie sollten wir überhaupt ein Verständnis für Freiheit haben, wenn wir eigentlich nur schlechte Computer sind?
Was ist also dieses Menschenbild? Welches Menschenbild hat am meisten überzeugt? Wie viele verschiedene Menschenbilder existierten gerade in der Welt zu diesem Zeitpunkt und wie verändern sie unsere Vorstellung über die Welt und sogar unser Handeln in der Welt?
Das Menschenbild ist für uns Menschen nicht bloß ein philosophisches Gedankenkonstrukt. Es entscheidet darüber, wie wir uns wahrnehmen, unsere Mitmenschen und unseren Platz in der Welt. Das Menschenbild entscheidet über unsere Zukunft.


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