Das Entscheidende in diesem Leben verbirgt sich hinter dem Individuum.
Elytis schreibt diesen Satz in seinem wunderbaren Buch Aller Anfang ist Poesie. In einem Moment der Einsamkeit und des Alleinseins, denke ich darüber nach.
Was bedeutet dieses dahinter? Ist es eine Erkenntnis, die wir durch uns selbst erhalten und zwar nur durch uns selbst, etwas wie es Nietzsche in seinem Also sprach Zarathustra forderte oder ist es etwas, das uns von dieser individualisierten Welt trennen möchte, weil eben das Entscheidende, nicht durch das Individuum allein zu finden ist?
Lesen wir Elytis weiter, so schreibt er:
„Das Entscheidende in diesem Leben verbirgt sich jenseits des Individuums. Mit der Einschränkung, dass, wenn man als Individuum nicht vollendet ist – und alles in unserer Zeit hat sich dazu verschworen, uns davon abzuhalten -, dann schafft man es nicht, es zu überwinden.“
Es ist also der Versuch, mit der Bedingung, sich selbst gerettet zu haben, in einer Gemeinsamkeit das Entscheidende zu finden.


Als ich in Thessaloniki für mich alleine war, war ich sehr stark auf das Individuum fokussiert.
In Thessaloniki gab es also keinen einzigen Moment, an dem ich mich einsam fühlte und viele Momente, an denen ich alleine war.
Die anonyme Gemeinsamkeit dieser Stadt hat mich in den Bann gezogen. Auch durch die Lektüre von Elytis bin ich ins Gespräch gekommen. Das Entscheidende war für mich nun, durch das Individuum in die Gemeinschaft zu treten, eine Verbindung zu wagen.
Es ist also die Gemeinschaft, die sich hinter diesem Individuum verbirgt. Unser Ziel soll es also sein, nicht bei einer Selbstentfaltung zu enden, sondern gerade dann nach außen zu treten und mit Gemeinsamkeit zu beginnen.
Besonders zeigt sich dies in entscheidenden Momenten.
In entscheidenden Momenten des Lebens begreifen wir den Menschen als soziales Wesen. In diesen Momenten werden Begegnungen, Freundschaften, eben alles, was mit Liebe verbunden ist, als notwendig erklärt.
Es sind diese Momente, in denen unsere täglichen Missgeschicke an Bedeutung verlieren. Alles fließt vorbei. Alles zieht vorbei, bis auf die Momente, die wir so gerne noch einmal teilen würden, noch einmal erleben würden, noch einmal…
Wir fanden darin Entscheidendes.
Diese Momente sind, wie könnte es auch anders sein, auch oft nur Momente. Wir können unser Leben nicht danach ausrichten. Wir würden mit all dieser Wahrhaftigkeit, dieser Aufrichtigkeit, wie es auch Nietzsche forderte, scheitern.
Gerade darin liegt doch oft die größte Tragik des Lebens. Die Menschen, die in einer Wahrhaftigkeit leben, die sich diesem Entscheidenden durch und durch widmen, in all ihren Lebenslagen, gerade diese Menschen gehen in dieser schnelllebigen und oberflächlichen Welt zu oft unter.

Odysseus Elytis kann mit diesem Zitat aber helfen. Er kann uns helfen, dass wir uns dessen bewusst werden und uns zumindest im Klaren darüber sind, was für uns Entscheidendes ist, um dann im besten Fall unser einziges Leben danach auszurichten.
Odysseus Elyitis (1911-1996) war ein griechischer Schriftsteller, Künstler und Dichter. Er lebte vorwiegend in Athen.
Quelle: Odysseus, Elytis: Aller Anfang ist Poesie, Aphaia Verlag, Frankfurt 2019, S. 74-75.


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