Hannah Arendt: Der Sinn von Politik ist Freiheit.

Wie frei sind wir eigentlich wirklich in unserer politischen Welt?

Die Denkerin Hannah Arendt ist neben Albert Camus in der Gegenwart zu einem hippen Phänomen geworden, scheinbar keine andere deutschsprachige Denkerin, die der Philosophie zuzuordnen ist, wird so oft zitiert und gelesen wie Hannah Arendt. Ich denke gerade ihre Schriften, die sich immer mit dem politschen Handeln befassen, spielen in dieser Gegenwart, die von politischen radikalen Veränderungen geprägt ist, in ihrer Beliebtheit eine entscheidene Rolle.

Während Camus Fragen zur Sinnlosigkeit und deren Ausweg stellt, liefert Arendt Fragen und erste Antworten darüber, wie wir Politik als Gemeinschaft verstehen wollen.

Als Philosophin genannt zu werden, verwehrt sie sich zeitlebens. Sie möchte als politische Denkerin und Theoretikerin verstanden werden und setzt damit ein Zeichen gegen die erstarrte, männerdominierte Philosophiewelt des 20. Jahrhunderts. Auch möchte sie vor allem bekannten Philosophen Deutschlands den Rücken kehren, die eben nicht für Freiheit aufstanden, sondern das Nazi Regime mitlebten, während sie und ihre Freunde wie Walter Benjamin, das Land verlassen mussten.

In den USA verdient Arendt ihren Lebensunterhalt sowohl als Dozentin und als Autorin. Als Journalistin wird sie im Zuge des Eichmann Prozesses in Jersusalem weltbekannt. Ihr war die Frage, wie Politik und Mensch zusammengehören, zentral. So ist auch Freiheit ein philosophischer Begriff, der notwendig in diesem Verhältnis eine entscheidende Rolle spielt und in diesem Aufsatz untersucht werden wird.

Wie frei sind wir in unserer politischen Welt?

In unserer jetztigen demokratisch, liberal agierenden westlichen Welt, erscheint Freiheit ein Begriff der Alltäglichkeit zu sein und doch wünschen sich immer mehr Menschen die Erhöhung der Sicherheit zu Kosten der Freiheit.

Wir wollen frei sein, zu tun was wir eben tun. Doch genau darin besteht oft das Problem der Banalsierung der Philosophie und dem Vergessen gesellschaftlicher Strukturen andererseits. Wir sind eben nicht einfach nur frei, weil wir uns gut fühlen und ins Kino können. Freiheit hat, wie jeder philosophische Begriff, unendlich viele Facetten. Wir bleiben heute, wie man erraten lassen kann, bei der politischen Freiheit. Also der Art von Freiheit, die für uns als Gesellschaft relevant ist.

Kerngedanke Arendts ist die Annahme, dass wir als politische Wesen Freiheit nur in einer Gemeinschaft begreifen und erreichen können, was bedeutet, dass sich die Individualität in einem sozialen Kontext entfalten muss. Dabei sind die negative Freiheit im Sinne von Isaiah Berlin eine Grundvoraussetzung, die uns ermöglicht, von äußeren Beschränkungen befreit zu sein. Im Gegensatz zu Charles Taylor, geht Arendt aber nicht als Konsequenz dahin, dass wir um positive Freiheit zu erreichen mehr Sicherheit und Staatskontrolle benötigen. Vielmehr vertritt sie die Auffassung, dass wir, um positive Freiheit zu erlangen, eine Befreiung von staatlicher Kontrolle benötigen, was uns in die Lage versetzt, aktive Teilnehmer an der politischen Gestaltung unseres Lebens zu werden. Das zeigt sich in den meisten Fällen in Form einer Revolution, in der Menschen für ihre Rechte und Freiheiten kämpfen, um eine grundlegende Veränderung in der Gesellschaft herbeizuführen und kollektive Autonomie zu fördern.

Freiheit – Bürgerrechte und die Revolution

Und selbst in dieser neuen und revolutionären Ausweitung auf die gesamte Menschheit bedeutete Freiheit nicht mehr als die Freiheit von ungerechtfertigten Zwängen, also im Grunde von etwas Negatives. Freiheit im Sinne von Bürgerrechten sind das Ergebnis von Befreiung, aber sie sind keineswegs der tatsächliche Inhalt von Freiheit, deren Wesenskern der Zugang zum öffentlichen Bereich und die Beteiligung an den Regierungsgeschäften sind.

Hannah Arendt, die Freiheit frei zu sein, dtv vERLAG: München 2018, S. 15F.

Wenn wir Freiheiten als Bürgerrechte begreifen, betrachten wir die Möglichkeiten, in einem Land aktiv zu werden und unsere Stimme zu erheben. In diesem Zusammenhang betont Hannah Arendt, dass Freiheiten zwar das Ergebnis eines Befreiungsprozesses sind, jedoch nicht den eigentlichen Kern der Freiheit ausmachen.

Der Wesenskern der Freiheit liegt viel mehr im Zugang zum öffentlichen Bereich und der aktiven Teilnahme an den Regierungsgeschäften. Diese Differenzierung ist entscheidend, um die tiefere Bedeutung von Freiheit zu verstehen.

Arendt nutzt als Beispiel die französische Revolution von 1789, um die gesellschaftliche Differenz in Bezug auf Freiheit zu verdeutlichen.

Von Jean-Pierre-Louis-Laurent Hoüel – Dieses Bild stammt aus der Digitalen Bibliothek Gallica und ist verfügbar unter der ID btv1b103025148, Gemeinfrei,

Diejenigen, die die Freiheit von Not kennen, sind in der Lage, die Freiheit von Furcht in ihrem vollen Umfang zu schätzen. Dieses Verständnis ist von grundlegender Bedeutung, denn erst wenn Menschen sowohl von Not als auch von Furcht befreit sind, können sie eine leidenschaftliche Haltung für die öffentliche Freiheit entwickeln. Diese Überlegungen von Arendt regen dazu an, nicht nur die rechtlichen Aspekte von Freiheit zu betrachten, sondern auch die grundlegenden materiellen Bedingungen, die es Individuen ermöglichen, tatsächlich an der politischen und gesellschaftlichen Gestaltung teilzuhaben.

Was also geschah 1789 in Paris? Erstens ist die Freiheit von Furcht ein Privileg, das selbst die wenigen nur in relativ kurzen Zeiträumen in der Geschichte genießen konnten, doch die Freiheit von Not war das große Privileg, das einen kleinen Prozentsatz der Menschheit durch die Jahrhunderte auszeichnete. Was wir als die (dokumentierte) Menschheitsgeschichte bezeichnen, ist größtenteils die Geschichte dieser wenigen Privilegierten. Nur diejenigen, die die Freiheit von Not kennen, wissen die Freiheit von Furcht in ihrer vollen Bedeutung zu schätzen, und nur diejenige, die von beidem frei sind, von Not wie von Furcht, sind in der Lage, eine Leidenschft für die öffentliche Freiheit zu empfinden…

Ebd., s. 26.

Für Arendt ist Freiheit eben nicht, für sich selbst entscheiden zu können, ohne die Gemeinschaft oder die politischen Umstände zu berücksichtigen. Sie sieht Freiheit als untrennbar verbunden mit dem politischen Geschehen innerhalb einer Gesellschaft, was bedeutet, dass individuelle Entscheidungen immer in einem größeren sozialen und politischen Kontext betrachtet werden müssen. Diese Vorstellung entstammt Arendts Annahme, dass der Mensch ein Zoon politikon ist. Dieses Konzept beschreibt den Menschen als ein Lebewesen, das nicht isoliert existieren kann, sondern dessen Natur darauf basiert, in Gemeinschaft mit anderen zu leben und zu handeln.

Freiheit wird in diesem Sinne niemals als etwas betrachtet, das ohne Verantwortung ausgeübt werden kann. Für Arendt besteht Freiheit zunächst in der negativen Freiheit, wie sie von Berlin gefordert wurde, welche die Abwesenheit von Zwang und Einschränkungen umfasst. Sie geht jedoch nicht wie Charles Taylor soweit zu sagen, dass positive Freiheit, also die Möglichkeit, sein Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten, nur durch staatliche Sicherung überhaupt möglich ist. Vielmehr folgt Arendt einer liberalen Sichtweise, die besagt, dass wahre Freiheit nur durch eine Befreiung der Menschen in Form einer Revolution verwirklicht werden kann.

Revolutionen repräsentieren eine Form menschlichen Strebens nach Selbstbestimmung, einem Kernaspekt des Begriffs Freiheit. Sie sind nicht nur ein politisches Ereignis, sondern auch ein Ausdruck des kollektiven Wunsches der Menschen, ihre Lebensbedingungen zu verändern und eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.


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Eine Antwort zu „Hannah Arendt: Der Sinn von Politik ist Freiheit.”.

  1. Avatar von Tools for thinking: Isaiah Berlin’s two concepts of freedom – Moving Drafts

    […] ‘Freedom’ is a powerful word. We all respond positively to it, and under its banner revolutions have been started, wars have been fought, and political campaigns are continually being waged. But what exactly do we mean by ‘freedom’? The fact that politicians of all parties claim to believe in freedom suggests that people don’t always have the same thing in mind when they talk about it. Might there be different kinds of freedom and, if so, could the different kinds conflict with each other? Could the promotion of one kind of freedom limit another kind? Could people even be coerced in the name of freedom? […]

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