Wo die eifrigen Menschen gehen. Oder was wir von Dichter:innen lernen können.

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To the poet, to the philosopher, to the saint, all things are friendly and sacred, all events profitable, all days holy, all men divine.

R.W. Emerson

Die Nächte sind lang. Die Welten sind groß. Und das Traumhafte verliert sich. Wir bestimmen einen blauen Sommernachtstraum und vergessen dabei unsere Hände zu berühren, sodass wir nicht erkennen, dass blau nur eine erfundene Farbe ist, die uns von Wundern der Natur abhält. Was passiert, wenn mein grün, das blau meiner Nachbarin ist? Ist es dann noch grün?

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Wir bestimmen unsere Begegnungen mit Begriffen und vergessen dabei völlig in Illusionen zu schweben, die wir uns selbst erbauten. Diese Illusionen werden zu begrifflichen (T)Raumvorstellungen. Damit verletzen wir. Bestimmungen und Begriffe geben uns Halt. Mit ihnen können wir uns wehren, vor uns selbst und vor unserer Angst des Unhaltbaren.

Mit ihnen können wir Freiheit begrenzen. 

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Wo die eifrigen Menschen gehen. Verfolgen werden wir uns nicht mehr, schon lange nicht mehr, weil wir zu beschäftigt waren, Straßen zu bauen, ohne den Boden zu sehen. Nun haben wir beschlossen uns selbst als wissende, erkennende Menschen zu ernennen, mit der Macht der Begriffe. Dabei begrenzt diese Macht. Das wollen wir vergessen und gesetzt haben wir sie, die Mächtigen, mit unserer scheinbaren Weltklugheit. 

Und was passiert, wenn Worte festgehalten nicht festzuhalten sind? Wenn sie entgleiten, den Weg der Unendlichkeit verleitet? 

Und wenn wir nur ausreichend viele Begegnungen und Erfahrungen sammeln, so glauben wir, Muster mit Begriffen zu erklären. 

Begriffsbestimmungen verletzen. Sie geben halt, sind aber kein Ersatz für Erkenntnis. Erkenntnis muss im Leben ersucht werden, nicht in Begriffen. Sprache also ist nur ein Mittel zum Zweck. Wir dürfen sie nicht über uns bestimmen lassen, sondern müssen sie bestimmen und neu schaffen. In einem Miteinander. 

Am besten können wir das von den Dichter:innen lernen. Warum? Weil sie nicht an Begriffe gebunden sind, weil sie Metaphern bilden und als Gerüst für ihre Flüge benutzen, während Realisten am Boden der Tatsachen festkleben. 

Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 -1900) strebte eine Philosophie an, die zeigt, dass Begriffe nur Begriffe sind, die umgedeutet werden können. Aber vor allem will er zeigen, dass wir uns von einer Verbissenheit für die Wahrheitssuche entfernen sollen und dem Leben mit Fröhlichkeit entgegen treten. 

Also: die Kraft der Erkenntnisse liegt nicht in ihrem Grade von Wahrheit, sondern in ihrem Alter, in ihrer Einverleibtheit, ihrem Charakter als Lebensbedingung. Wo Leben und Erkennen in Widerspruch zu kommen schienen, ist nie ernstlich gekämpft worden.

Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, KSA 3, S. 469.

Besonders empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist sein Buch zur Fröhlichen Wissenschaft. Darin greift Nietzsche, wie der Titel schon verrät, besonders die Wissenschaft und ihre Methode an. Sie sei das Paradebeispiel dieser ungünstigen Suche nach Begriffen, die in ihrem Kern einer Suche nach einer allgemeingültigen Wahrheit folgt, die es, so Nietzsche, gerade aufgrund der Vielfalt dieser Welt und der Unergründbarkeit, ihrer Dynamis und vor allem ihrer Perspektivenvielfalt vielleicht überhaupt nicht gibt und vor allem aber, die als solche unerreichbar bleibt. 

In seiner Fröhlichen Wissenschaft ist er versucht zu zeigen, dass Erkenntnis nicht abhängig ist von Begriffsbestimmungen. Er will zeigen, dass wir nicht nur dann miteinander sprechen und uns verstehen oder kommunizieren können, wenn wir uns an die Begriffe kleben, die wir in ihrer Etymolgie nicht einmal mehr einordnen können. Erkenntnis ist etwas, das durch das Leben entsteht. 

Nietzsche versucht diese Problematik zu verdeutlichen und bietet einen Alternative an: Die Welt mit Augen der Dichter:innen zu sehen, selbst zu bestimmen, gemeinsam neue Begriffe schaffen und sie zu unseren Werkzeugen ernennen und uns nicht von Ihnen bestimmen lassen. 

So schreibt Nietzsche: 

„Wir haben da ein vielfaches Nacheinander aufgedeckt, wo der naive Mensch und Forscher älterer Culturen nur Zweierlei sah, „Ursache“ und „Wirkung“, wie die Rede lautete; wir haben das Bild des Werdens vervollkommnet, aber sind über das Bild, hinter das Bild nicht hinaus gekommen.“

Nietzsche, KSA 3. S. 472.

Und jetzt?

Wie können wir also das Problem der Begriffe umgehen ohne in eine Ernsthaftigkeit oder eine Lebensunfähigkeit zu verfallen? Wie können wir Nietzsches Alternative verflogen, wenn wir doch in einen Alltag mit Verpflichtungen und besonders mit sozialen Gefügen und Regeln nahezu unterworfen sind, weil wir uns doch anpassen müssen, um unser Leben zu finanzieren und um unsere Kontakte aufrecht zu erhalten, weil wir eben keine Einsiedler werden wollen, die über die Welt philosophieren ohne Teil dieser Welt zu sein (oder vielleicht doch?)

Es gibt es zwei Wege:
1. Der Versuch gemeinschaftlich die Begriffe neu zu definieren. Das ist der Weg der traditionellen Philosophie. Für Nietzsche ist das aber vor allem der Weg derjenigen, die mit Begriffen unterdrücken wollen – alles unter dem Deckmantel von selbst ernannten Moralitäten.

2. Der andere Weg ist es, sich an Dichter:innen zu orientieren. Nicht die Allgemeingültigkeiten von Neubestimmungen sollen wir suchen, sondern die Individualität von Eigenkreationen. Das bedeutet, wir müssen uns dazu befördern neue Begriffe zu bestimmen und damit immer wieder bereit sein, von vorne anzufangen. So ist es mit Freundschaft, Liebe oder Erfolg. Freundschaft muss in jeder einzelnen Beziehung selbst bestimmt werden. Das heißt aber auch, dass wir bereit sein müssen, in vielen Fällen nicht miteinander sprechen zu können. Wir müssen bereit sein uns nicht zu verstehen. Die Freiheit der Selbstbestimmung also ist immer gebunden an die Liebe und an die Nähe zu Anderen. Wir bestimmen dabei wie frei und wie verbunden wir sein wollen.

Von den Philosoph:innen können wir nun lernen eine gemeinsame Sprache zu entfalten.

Von den Dichter:innen können wir lernen unsere Sprache zu entfalten und den Mut zu bewahren, nicht verstanden zu werden. 

So fliegt sie mit ihren selbst gewebten Flügeln die metapher empor Die grammatik lässt sie am Boden zurück. Und du wolltst fliegen mit anderes erbauten Flügeln Doch sie trugen dich nicht und verließen dich am boden der tatsachen zurück. 

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